Joan Miró

20.4.1893 Montroig bei Barcelona – 25.12.1983 Palma de Mallorca

Spanischer Maler und Graphiker; kam nach Malstudien in Barcelona 1919 nach Paris, anfangs vom Kubismus beeinflusst; entwickelte ab 1924 einen weitgehend abstrakten, von Symbolen und figurativen Bildzeichen geprägten Stil, der ihn vorübergehend in den Kreis der Surrealisten führte. Die fantastischen, den Eindruck mikrokosmischer Fabelwelten hervorrufenden Gemälde und grafischen Arbeiten Mirós sind häufig humoristisch gefärbt.

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Joan Miró

Miró wurde als Sohn eines Goldschmiedes geboren, der Verständnis für die künstlerischen Neigungen seines Sohnes besass. Miró zeichnete als Kind ständig und durfte als 14jähriger die Kunstakademie in Barcelona besuchen. 1910 trat er auf Drängen seiner Eltern als Büroangestellter in ein Handelshaus ein. 1912 wandte er sich wieder der Malerei zu und setzte seine Studien an der privaten Kunstschule von Gali fort, wo er bis 1915 blieb. Miró verarbeitete das Vorbild des Fauvismus in einer Reihe von Landschaften und Stilleben, in denen eine Berührung mit dem Kubismus deutlich wird. Doch seine Farbigkeit ist düsterer und dichter, gegliedert von einer ungestüm auf Ausdruck zielenden, deformierenden Struktur. 1917 begegnete er Picabia. 1918 zeigte er seine erste Einzelausstellung in der Galerie Dalmau in Barcelona. Das war der Abschluss der aus spontaner Emotion entstandenen Malerei. Miró wandte sich einer minuziösen Landschaftsbeschreibung und der genauen Erfassung der Details zu. 1919 ging er nach Paris.

J. Lassaigne: Miró, Genf, Skira, 1963
R. Penrose: Miró, London, Thames and Hudson, 1970
G. Diehl: Miró, Paris, Flammarion, 1974.

Joan Miró

Joan Miró ist Sohn eines Goldschmieds. Er zeichnet schon als Kind und beginnt ein Kunststudium, das er allerdings 1910 wieder abbricht, um den Kaufmannsberuf zu ergreifen. 1911 wird er schwer krank. Die Genesungszeit verbringt er bei seinen Eltern, die gerade einen Bauernhof in Montroig, nahe Tarragona, gekauft haben. Diesen Ort bevorzugt er sein Leben lang. An der Kunstschule in Gali versucht er sich in der Malerei und trifft 1912 Lorcas Artigas, mit dem er später viele Keramiken ausführen wird. Miró wird vom Impressionismus, Fauvismus, Kubismus angezogen: seine Malerei könnte man in diesen Jahren am ehesten als fauvistisch bezeichnen.

1916 entdeckt er Zeitschriften der Pariser Avantgarde, vor allem Nord-Sud, wo Reverdy schon den Surrealismus ankündigt. Er macht die Bekanntschaft von Picabia, der 1917 in Barcelona seine dadaistische Zeitschrift 391 veröffentlicht. Miró ist dem katalanischen Temperament entsprechend zurückhaltend, besorgt, in Gedanken versunken. Der auf Wirkung abzielende dadaistische Protest interessiert ihn, beeinflusst ihn aber nicht. In seiner ersten Ausstellung, in Barcelona bei Dalmau, zeigt er gewissenhaft ausgeführte realistische Landschaften. Bis 1924 wird er noch so fein säuberlich malen. 1919 kommt Miró nach Paris. Diese Stadt hat ihn, wie er schreibt, «völlig verwandelt». Er begegnet hier Picasso, der ihm ein Selbstporträt abkauft (1919). Damit beginnt die Freundschaft dieser beiden Katalanen.

Von 1920 an verbringt Miró den Sommer in Montroig und den Winter in Paris. In der Rue Blomet hat er sein Atelier neben dem von Masson. Mit seiner ersten Ausstellung in Paris (1921) in der Galerie La Licorne hat er wenig Erfolg, und seine materiellen Schwierigkeiten sind beträchtlich. Inzwischen wendet sich die Gruppe der Rue Blomet (Artaud, Desnos, Leiris, Limbour, Masson) auf matistischen Versuchen zu. Mini nennt diese Vorgänge «Ermordung der Malerei»; jedoch wird hier jene Spontaneität freigelegt, die bald darauf von den Dichtern der «automatischen Schrift» gepriesen wird. Mit Terre labourée (Ackerland, 1923) ändert sich plötzlich Mirós Optik: seine gegenständlichen Versuche – La Lampe à carbure (Karbidlampe, 1920) ist hierfür das beste Beispiel – werden von einer «flachen Malerei» abgelöst; Miró wendet sichendgültigvonder «tiefen» Raumdarstellung ab. Stattdessen schafft er eine «peinture-écriture» («Schriftmalerei»), die an Paul Klee erinnert.

Seine Begegnung mit den Surrealisten Aragon, Eluard, Breton (1924) bekräftigt seinen Entschluss, Plastisches durch bildliche Poesie aufzuheben. Le Carnaval d’Arlequin, der in dieser Zeit entsteht, zeigt schon alle Arten von Zeichen und traumhaften Gegenständen; die jedoch werden noch auf zwei Flächen, dem Boden und dem Hintergrund verteilt. Ist rechts oben ein Fenster, das_ eine Bergspitze in der Nacht sehen lässt? Unter diesem Fenster wird von einem Pfeil ein dunkler Kreis gezogen. Darunter sind auf einem Tisch mit geschwungenem Fuss Fische, Vögel und andere geheimnisvolle Dinge ausgebreitet. Unter dem Tisch spielen Katzen. Grosse Unordnung wird fein säuberlich gemalt: links steht steif eine Leiter, in der Mitte überschneiden sich zwei wurmförmige Gebilde. Ein schnurrbärtiger Mond, ein Eichhörnchen, das aus einem Würfel schlüpft, Seesterne, Sirenen, Noten und eine Holzkugel, die uns mit ihrem Auge ansieht . . . Zweifellos wird Mirós Stil noch knapper werden – seine Pastorale (1923-1924) bezeugt es -, aber hier schlägt er eindeutig seine Richtung ein. Er bewundert Gaudi, dessen Architektur ihn schon als Kind begeistert hat. So tauchen auch in seinen Träumen weiche oder flüssige Formen und larvenartige Gegenstände auf. Miró macht sich selbst über seine Spielzeugformen lustig, die André Breton aber verärgern. Er sieht in den «Veranlagungen» die- ses Malers, der zu sehr Maler ist, «ein gewisses Haftenbleiben der Persönlichkeit im kindlichen Stadium. Dadurch entstehen Qualitätsunterschiede und Überladung in seiner Kunst und seine Aussage wird intellektuell eingeschränkt» (Genèse et perspective artistiques du Surréalisme, 1941). Trotzdem ist es anscheinend Miró, der Breton von der Möglichkeit überzeugt hat, dass Malerei die Richtung der automatischen Schrift einschlagen kann. Erst später – 1958 – kennt ihn Breton als einen grossen Formdichter an.

Wie Max Ernst ist Miró ein Opfer der Zensur. Die Surrealistengruppe verurteilt seine Dekorationen zu Roméo et Juliette von Diaghilew (1926). Das bleibt eine kurze Meinungsverschiedenheit. Ein Jahr zuvor hatte er in der Galerie Pierre ausgestellt (Einführung von B. Péret), und seine Traumbilder, die er zwischen 1925 und 1927 malt, sind Lektionen des Surrealismus. In seinem Atelier in der Villa des Fusains, in der Rue Tourlaque, begegnet man Arp, Eluard, Ernst, Goemans, Magritte. Miró gerät unter den Einfluss von Paul Klee. Seine Formen verdichten sich, so dass Michel Leiris von ihm sagt, er komme zu einem «Verständnis des Leeren». La Femme au journal (Frau mit Zeitung, 1925), Personnage lançant une pierre à un oiseau (Gestalt, die einen Stein nach einem Vogel wirft, 1926) sind noch nicht so knapp gefasst wie Triptyque bleu (1961) oder La Tache bleu (1973). Doch führt, nicht ohne karikierenden Humor, die gegenständliche Linie zur Abstraktion.

Nach und nach überwindet Miró seine materiellen Schwierigkeiten. Er reist durch Holland, malt seine grossen Intérieurs hollandais und heiratet 1929. Jetzt entstehen auch seine Portraits imaginaires (Erdachten Porträts). 1930 überschreitet er mit seinen «papiers collés» und seinen Konstruktionen die engen Grenzen der Malerei. Er wird nun auch jenseits des Meeres anerkannt: er stellt in der Valentine Galerie, New York aus. Mirós übersprudelnder Tatendrang drückt sich in Skulpturen, Gegenständen, Dekorationen, Tapetenbildern aus. 1932 nimmt ihn Matisse in New York unter Vertrag.

Im Laufe seiner Materialstudien kommt er dazu, Sandpapier und Kupfer als Malgrund zu benutzen (1936). Eine neue Phase beginnt. Unbändige Formen, erschreckende Alpträume entströmen Mirós Pinsel. Beim Ausbruch des Bürgerkrieges bricht er seinen Spanienaufenthalt ab und führt im «Pavillon de la République espagnole» zur universellen Ausstellung in Paris Le Faucheur (Der Schnitter), ein grosses Wandgemälde, aus. Die Frauengestalten, die zu dieser Zeit entstehen, sind die grausamsten Geschöpfe der surrealistischen, ja der sadomasochistischen Vorstellung: Femme assise, Tête de femme (1938) wären groteske Ungeheuer, wenn man sie als gegenständliche Abbilder betrachten würde; sie sind aber Sinnbilder oder Bildzeichen. Sie vereinigen in sich alle aggressiven Ängste, die der Maler vor den Greueln in der europäischen Gesellschaft jener Zeit empfindet: vor dem Spanischen Bürgerkrieg, vor der Münchner Konferenz, vor den schneidigen Stiefeln, vor dem Rassismus. So zieht das Bild der Frau in der Einbildung der Dichter und Maler manchmal beängstigenden Spott, manchmal aber auch entzückte Vergötterung auf sich. Wenn wir nach dem Erotischen in Mirós Kunst suchen, müssen wir feststellen, dass er wie die meisten Maler der surrealistischen Bewegung – im Gegensatz zu den Dichtern – die Frau mehr grausam als ritterlich dargestellt hat.

Bei Kriegsanbruch 1939 ist Miró bei seinem Freund, dem Architekten Nelson, in Varengeville, wo er Braque, Queneau, Calder begegnet. Er stellt Radierungen her. 1940 beginnt die berühmte Folge der Constellations. Hieran erkennt Breton im Exil, dass die surrealistische Malerei auch in seiner Abwesenheit in Europa lebendig bleibt: in einer Schrift, die 1958 erschienen ist (siehe L’Œil, 1958, S. 55, und Vorwort zum Album Constellations, das Matisse 1959 in New York herausgibt) drückt André Breton seine Bewunderung für diese Gouachenfolge aus. In ihren unentwirrbaren graphischen Verflechtungen und in den Abweichungen, die wir durch Vergleichen feststellen können, zeigen sie im Traumhaften und in der bildlichen Kraft bewundernswerte Kontinuität.

Miró verlässt Varengeville und kehrt nach Spanien zurück, und zwar zunächst nach Palma auf Mallorca, dann nach Montroig und Barcelona, wo er 1941 seine Constellations zu Ende führt. 1945 werden sie in New York ausgestellt.

In dieser Stadt findet auch 1941 im «Museum of Modern Art» Mirós erste Retrospektive statt. Aber erst 1947 fährt Miró zum ersten Mal in die Vereinigten Staaten: in Cincinnati malt er Dekorationen. 1947 ist er im Katalog der Surrealistenausstellung bei Maeght vertreten, kommt aber erst 1948 nach acht Jahre langer Abwesenheit nach Paris zurück. Die Zeit der Retrospektiven und der bedeutenden Aufträge hat begonnen. 1947 führt Miró im Hiltonhotel von Cincinnati Wandgemälde aus, 1950 an der Harvard University, mit Artigas eine Keramikmauer im Palais der UNESCO in Paris (1959), Wandkeramiken in Harvard (1960) und Barcelona (1970). Eine Retrospektive löst die andere ab: Bern (1949), Biennale von Venedig (1954), Brüssel, Amsterdam, Basel (1956), New York (1959), Paris (1962), London (1964), Tokio und Kyoto (1966), Saint-Paul-deVence zu seinem achtzigsten Geburtstag 1968, München (1969), New York (1972 und 1973), Paris (1974). Miró ist in aller Welt berühmt.

1938 hatte er in der Zeitschrift XX` siècle den autobiographischen Text «Ich träume von einem grossen Atelier» veröffentlicht: 1956 erstellt ihm sein Freund, der Architekt J.-L. Sert, in Palma, auf Mallorca, sein Traumatelier. Von 1955 bis 1959 unterbricht Miró praktisch seine Malerei, um sich der Keramik und dem Holzschnitt (1958) zu widmen. Als er 1960 die Malerei wieder aufnimmt, beschäftigt er sich mit den Serien auf weissem Grund und einem Triptychon, das fast ganz monochrom blau ist (Bleu I, II, III). Die internationale Malerei schwelgt zu diesem Zeitpunkt schon in der lyrischen Abstraktion. Der Tachismus und die blauen monochromen Bilder von Klein werden zum Klatschgespräch oder in die Kunstgeschichte aufgenommen. Miró ist so lebendig in seiner Malerei, dass er diese Lektionen nicht übersieht. Er hat überhaupt bis ins höchste Alter die Vorliebe für Experimente behalten. In seiner bildlichen Poesie zerstört er sogar: einige Gemälde brennt er an (1973), andere reisst er ein und durchlöchert sie (1962). Seine Skulpturen baut er aus gefundenen Gegenständen zusammen (1967). 1964 erstellt Miró im Garten der Fondation Maeght in Saint-Paul de Vence grosse Stier- und Mondskulpturen. Ein Mirósaal schmückt dieses Museum.

In welcher Hinsicht gehört Miró, der sich doch in seiner schöpferischen Unabhängigkeit schon früh von jeder Gruppenbildung fernhält, zu den surrealistischen Malern? Zunächst durch seine Arbeitsmethode, die er ja beschrieben hat (siehe J. J. Sweeney, im Artikel «Miró» in Art News Annual Nr. 23, 1954, S. 187). Er lässt sich vom Malmaterial selbst anregen und gibt sich unkontrollierter Spontaneität hin. Diesen ersten Entwurf lässt er so unfertig stehen, bannt ihn aus seinem Aktionsfeld und vergisst ihn sogar. Eines Tages nimmt er diese Leinwand wieder vor, entdeckt sie neu «und bearbeitet sie wie ein Handwerker mit Distanz». Während dieses langsamen Arbeitsprozesses sinnt er über die wieder gefundenen Formen nach. An dieser Arbeitsweise ist sicher nichts einzigartiges, da viele Maler auf gleiche Art verfahren. Die suggestive Kraft, die weniger verdichtete Träume als zum Träumen anregende Gebilde schafft, finden wir vielmehr in seinem ganz persönlichen Formenspiel. Mirós Genie liegt darin, dass er in die Formen und ins Bildmaterial Traumhaftes einfliessen lässt, dessen Seltsamkeit und beunruhigendes Wesen uns staunen macht. Hierbei geht er nie bis zur vollkommenen Gegenstandslosigkeit. Daher die grosse Bedeutung seines «bildlichen Wortschatzes»: abgesehen von der Frau, die verschlingt und verschlungen wird (1938), können wir folgende, allerdings unvollständige, Liste aufstellen: Hände und Füsse, die wie Blumenblätter auslaufen; Eiformen (Intérieur hollandais I), die zu (blauen) Flecken werden; spitzwinklige Dreiecke; Monde und Mondsicheln; fleischfressende Pflanzen, die mit ihren Fühlern Beute anziehen; Schlangengebilde; Spiralen mit schwarzem Kern (La Poétesse, die Dichterin, 1940 wimmelt davon); Gebisse, die manchmal zahnlos sind; halbkreisförmige Flecken (Le Soleil rouge ronge l’araignée, Rote Sonnenspinne, 1948); Fäden, die Miró manchmal mit anderen Formen verbindet; Sterne; weiche Pfeile; Strichmännchen, die wir aus Kinderzeichnungen kennen, manchmal mit starrem Auge (Femme, Frau, 1969); Kommas, Punkte, herumschwebende Linien (Composition à l’oiseau, Vogelkomposition, 1971); senkrechtes Ausfliessen (Triptyque, L’Espoir du condamné à mort, Die Hoffnung eines zum Tode Verurteilten, 1974); schlaffe Brüste (Femme, 1974) oder abstrahierte, die man im Kreis mit Punkt errät. Je nach seiner künstlerischen Phase zeichnet Miró dies alles straff oder ungezwungen.

Mit seinen Skulpturen und Montagen gehört er neben Picasso zu den bedeutendsten Bildnern des Surrealismus. In seinem Objet poétique (Poetischer Gegenstand, 1936) ist er sehr orthodox: ein Frauenbein setzt er mit einer Vogelstange gleich. Er pflanzt (1929) eine Heugabel in eine Schachtel und benennt das Femme et oiseau (Frau und Vogel). Dieses Thema lässt ihn lange nicht los. 1967 baut Miró aus einer Glockenform und wenigen Anhängseln seine Bronze Femme; sie wirkt mit ihrer Öffnung auf uns sehr sexuell. Seine Formen sprühen von Humor, und die Welt, die er darzustellen vorgibt, grenzt an Karikatur. Zum Dargestellten bewahrt er kühnen Abstand: daraus entsteht seine Poesie. Seine Keramiken, an denen er so beharrlich arbeitet, zeugen von seiner Liebe zur Erde: der Ton scheint diesen Formen archaische Brutalität zu verleihen.

Wie wir Miró bezeichnen, ist nicht massgebend: für manche ist er ein Abstrakter. Warum nicht? Er ist es weniger als Hans Arp; wie er gibt er aber seinen Formen Symbolik und Erotik. Einem strengen Dogma gemäss wäre Miró nicht surrealistisch, und doch beruft sich der Surrealismus auf ihn. Ober freie Handschrift kommt er zur «Picto-Poesie» (Brauner). Neben Paul Klee ist Miró einer der hervorragendsten Bilderdichter unseres Jahrhunderts. Aber er stellt dem lächelnd Minuziösem Klees grimmigen Humor gegenüber.

René Passeron
Lexikon des Surrealismus
Somogy Paris

Jacques Dupin: Joan Miró, Köln, Dumont-Schauberg; Paris, Flammarion, 1961.
Jacques Lassaigne: Miró, Paris, Skira, 1963.
Michel Leiris: «Jean Miró», Documents, première année, n°5, octobre 1929.
James J. Sweeney: Miró, New York, Art news annual, XXIII (1954).

Joan Miró

Miró wird am 20.4.1893 in Barcelona geboren. Sein Vater ist Uhrmacher und Goldschmied, seine Mutter Tochter eines Möbelschreiners. Bereits mit sieben Jahren erhält das verträumte Kind Zeichenunterricht. Ab 1907 besucht Miró gleichzeitig die Handelsschule und die Kunstakademie in Barcelona. Nach seiner kaufmännischen Ausbildung arbeitet er als Buchhalter bei einer Bau- und Chemiefirma. 1912 erleidet er einen Nervenzusammenbruch, verbunden mit Typhusfieber. Nach der Genesung beginnt er ein Kunststudium an der privaten, progressiv ausgerichteten Akademie Gali in seiner Heimatstadt. In den nächsten Jahren beschäftigt sich Miró intensiv mit der französischen Kunst und Literatur. Die frühen Bilder zeigen in einer eigenwillig-naiven Bildsprache Einflüsse des Kubismus, des Fauvismus und der Art Déco. In den Sommermonaten hält sich Miró gerne auf dem Land in dem kleinen Dorf Montroig auf, wo sein Vater ein Bauernhaus besitzt.

Hier entstehen fast alle seine Landschaftsbilder und Stillleben, wie auch Gemüsegarten mit Esel, das bereits zu seinen «detaillistischen» Werken gehört: Bilder mit einer kubistischen Grundstruktur, die an einigen Stellen in minuziöse realistische Details übergehen und die Wertschätzung des Künstlers für die kleinen Dinge zum Ausdruck bringen. Miró zeigt das geliebte Bauernhaus, das er später noch einmal in einem Hauptwerk zelebriert, mit seinem streng geometrisch angelegten Garten. Sobald die Pflanzen aber dem Boden entspriessen, führen sie ein wildes Eigenleben, das Miró wiederum ornamental bändigt und in Form von filigranen, zarten Mustern zeigt, die vor dem Ordnung und Halt versprechenden Haus wuchern. Auch die das Anwesen umstehenden Bäume tragen phantasievolle, aber sauber sortierte Laubkronen, deren einzelnen Blattformen sich deutlich vor dem bizarren beige-blauen Himmel abheben, der die geometrische Anordnung der Beete wiederholt. Der genau gezeichnete Esel im Vordergrund bringt eine anekdotische, regionale Note ein. Jedes Detail entspricht genauer Naturbeobachtung, wird aber in einen bildnerischen Zusammenhang gesetzt, der nicht unbedingt naturalistischen Auffassungen entspricht, sondern Mirós tastende Suche innerhalb der Vielfalt moderner Kunst-Ismen zeigt.

Bei Spanische Tänzerin ist die Komposition strenger und formaler. Dieses 1921 in Paris gemalte Bild offenbart weniger die Sehnsucht nach der spanischen Heimat als eine gefährliche Nähe zum käuflichen Laster des Montmartre. Die wie erstarrt wirkenden, puppenhaften Züge evozieren die eiskalte Maske der Berechnung und Verführung, die von den wie Tentakeln herabhängenden Perlenschnüren noch verstärkt wird. Signale gefährlicher Leidenschaft senden auch die roten Farben ihrer bestickten Bluse aus, deren Muster die ausgreifenden Bewegungen der Perlen-Fangarme wiederholen. Umrahmt wird die spanische Hydra von einer seltsam flackernden gelblichen Aureole, der elektrisierenden Anziehungskraft der «femme fatale».

Ab 1924 findet Miró Kontakt zu den Surrealisten, die entscheidende Anregungen bringen. Aus Mirós «detaillistischen» Bildern entwickelt sich ein neues System von Zeichen und Farben, das im Surrealistenkreis grosse Beachtung findet. In den ab 1926 entstehenden Paysages imaginaires erfindet Miró weite Raumsuggestionen aus Farbmodulationen, die zu den frei schwebenden Farbformen von 1930 führen. Vom Spanischen Bürgerkrieg erschüttert, zeigt Miró ab 1936 wilde Figurenbilder mit grellen Farben und alptraumhaften Szenerien. Nach Kriegsbeginn zieht er nach Varengville-sur-Mer in die Normandie, wo er bis 1941 die Serie Constellations schafft, die in ihrer neuartigen «all over»-Struktur grossen Einfluss auf die amerikanische Kunstentwicklung haben. In den folgenden Jahren entstehen bevorzugt keramische Arbeiten.

In dem 1956 neu errichteten Atelierhaus in Palma de Mallorca greift Miró mit grossformatigen abstrakten Werken die Malerei wieder auf, die nun wiederum von den Entwicklungen der New York School inspiriert sind. Neben zahlreichen keramischen und plastischen Arbeiten widmet sich Miró in seinen letzten Jahren auch der alten katalanischen Webkunst und entwirft Bühnenbilder, die seinen freiheitlichen, unbändig phantasievollen Geist in einer grossartigen und vielseitigen Form zum Ausdruck bringen. Er stirbt am 25.12.1983 in seinem Atelierhaus in Palma de Mallorca.

Lit.: Hubertus Gassner, »Joan Miró. Der magische Gärtner«, Köln 1994
Jacques Dupin/Ariane Lelong-Mainand, »Joan Miró. Catalogue Raisonné. Paintings«, 2 Bde., Paris 1999

Hajo Düchting
Der kühle Blick. Realismus der Zwanzigerjahre in Europa und Amerika
Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung Münschen vom 1.6. – 2.9.2001
Prestel Verlag – ISBN 3-7913-2513-2

Der Karneval des Harlekins

Den Olymp seiner neuen Mythologie, die Synthese seiner aktuellen Erfahrungen erreicht Miró mit dem Bild «Karneval des Harlekins», an dem er den ganzen Winter 1924/25 arbeitete und der zu einem triumphalen Zielpunkt wurde. Mit der ihm gewohnten präzisen Kalligraphie ausgeführt, schweben die Objektsymbole in der Luft, hin und her wogend in einem Raum, der halb angedeutet von ihnen erfüllt ist, während der grösste Teil dieses Raumes gegen die Unendlichkeit hin geöffnet ist. Wie die «Worte in Freiheit» der Futuristen verteilen sich die Symbole im enormen hypothetischen Zimmer seiner Imagination, das Miró als heiteren Inkubus empfindet. Und wie in einer Vision sieht und erinnert er sich, ohne den Dimensionen und Distanzen Rechnung zu tragen. Ohne Bindung an die Logik, aber einer Logik folgend, die ganz die seine und dem musikalischen Rhythmus angemessen ist.

Es ist ein enormes Schauspiel, aufgebaut aus Objekten und Spielzeugen, kindlichen Teufelchen, eigenartigen, formlosen Wesen, kleinen Ungeheuern, die aus Würfeln hervorkommen. Sie winden sich um feine Stiele und befreien sich halb in der Luft, sie hängen an dünnen Fäden in einem gefährlichen Spiel. Es ist ein Schauspiel für grosse Kinder, in dem die phantastischen, fiktiven Gaukler auf andere, gefährlichere Spiele hinweisen. Seiltänzer aus dem Wunderland, die die Bedeutung anderer Trapeze, mit oder ohne Netz, haben und die in der fürchterlichen realen Welt zu finden sind. Miró, der die Realität, die ihm grausam und hart erschien, nicht ertrug, der versucht hat, die Herbheit seines innersten Wesens in der Rauheit der katalanischen Landschaftsbilder zu reflektieren, ist in die Welt der Symbole, der Metaphysik geflüchtet.

Seine Geschichte löst sich auf, entwirrt sich mit dieser scheinbar so heiteren Darstellung, die bezaubert und beeindruckt, während sie gleichzeitig ein gewisses Unbehagen hervorruft, eine angstvolle Unruhe, die der gleicht, die man gegenüber dem «Garten der Lüste» empfindet, der von Hieronymus Bosch zu Beginn des 16. Jahrhunderts gemalt wurde. Es ist sehr wahrscheinlich, wenn nicht sogar sicher, dass Miró dieses Bild gesehen hatte, denn in den Sälen des Louvre war er von den formlosen und diabolischen Phantasmagorien des grossen altniederländischen Malers mehr beeindruckt worden als von den Akten eines Tizian oder Rubens. So wie die katalanischen Fresken Miró als Vorlage für die ersten Gefüge seines anfänglichen romanischen Kubismus gedient hatten, so wie die prähistorischen Felszeichnungen während seines ganzen Schaffens bis zum letzten Werk Prototyp und Inspiration für die im Zeichen, in der Chiffre vorhandene Magie waren, ist es nun das unruhige Gewimmel, der unbegrenzte surrealistische Raum des geheimnisvollen Bosch, was Miró beeindruckt.

Die eigenartigen, monströsen Wesen Boschs erscheinen im Kaleidoskop Mirós wieder, sie sind jedoch heiterer, wie aufgehellt von der Mittelmeersonne, durchsichtig, von anderer Farbe, lebendig, elektrisierend, bilden ein groteskes Kunsttheater; triefen nicht mehr vom Gift und der Traurigkeit des Nordens. Es sind eigenartige Figuren und Insekten, jedoch nicht mehr sadistisch boshaft und krank wie im mittelalterlichen Unterbewusstsein Boschs.

Mario Bucci – Joan Miró – Gestalter unserer Zeit

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